- Section Française de l'Internationale Ouvrière
- Section Française de l'Internationale Ouvrière[sɛks'jɔ̃ frã'sɛːz də lɛ̃tɛrnasjɔ'nal uvri'ɛːr], Abkürzung SFIO, sozialistische Partei in Frankreich, auf Druck der II. Internationale 1905 gegründet durch Zusammenschluss reformistischen und marxistischen Sozialisten, wandelte sich 1969 zum Parti Socialiste. Die SFIO vertrat als Organisation des Proletariats eine marxistisch-revolutionäre Ideologie. Dennoch stellte sie auch eine Reihe reformistischer Forderungen (u. a. Sozialgesetzgebung, Landwirtschaftsprogramme, Frauenwahlrecht), die besonders von der Parlamentsfraktion der SFIO getragen wurden. Dies bedeutete eine permanente Spannung zwischen revolutionärer Theorie (Festhalten am Prinzip des Klassenkampfes) und reformerischer Praxis und führte zu Auseinandersetzungen um die Beteiligung an Koalitionen mit bürgerlichen Parteien. - Der Parteitag wählte die vierköpfige Direktion, den Nationalrat (höchstes Gremium zwischen den Parteitagen) und die Verwaltungskommission (1945 durch ein Direktionskomitee ersetzt), die die Fraktion kontrollierte. Die übrigen organisatorischen Strukturen der SFIO waren nur locker.Unter ihrem Generalsekretär Louis Dubreuilh (* 1862, ✝ 1924) und den parlamentarischen Führern J. Jaurès und J. Guesde wuchs die Partei unter Einbeziehung auch mittelständischer Wähler zu einer starken politischen Kraft an. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges stand die für den Pazifismus eintretende SFIO in scharfer Opposition zur Regierung. Unter dem Eindruck der deutschen Aggression stimmte sie jedoch für die Kriegskredite und trat in die Allparteienregierung der »Union sacrée« ein. Als Staatssekretär für die Kriegsproduktion konnte Albert Thomas (* 1878, ✝ 1932), ein Schüler Jaurès', erste soziale Reformen durchsetzen. Als den zunehmend gegen den Krieg votierenden Sozialisten aber die Teilnahme an der sozialistischen Friedenskonferenz in Stockholm 1917 verboten wurde, schieden sie aus der Regierung aus. Die wachsende Radikalisierung der Anhängerschaft führte dazu, dass sich die Mehrheit auf dem Parteitag von Tours im Dezember 1920 für den Anschluss an die III. (kommunistische) Internationale (Komintern) aussprach und den Parti Communiste Français bildete. Die Minderheit um L. Blum, die die Partei unter ihrem alten Namen fortführte, konnte neue Anhänger v. a. aus dem laizistischen Kleinbürgertum gewinnen. 1924 bildete die SFIO mit den Radikalsozialisten das Linkskartell (Cartel des gauches); 1933 spalteten sich autoritäre »Neosozialisten« (M. Déat; Adrien Marquet, * 1884, ✝ 1955) und Reformisten (P. Ramadier; Pierre Renaudel, * 1871, ✝ 1935) als »Parti Socialiste de France« ab. Im Juli 1934 schloss die SFIO mit den Kommunisten ein antifaschistisches Bündnis, dem sich ein Jahr später auch die Radikalsozialisten anschlossen (Volksfront). Nach dem Wahlsieg der Volksfront 1936 trat Blum als Führer der stärksten Partei an die Spitze der Regierung, die soziale Reformen durchsetzte, dann aber an inneren Spannungen scheiterte. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges erschütterten heftige Auseinandersetzungen zwischen Pazifisten um Generalsekretär P. Faure und Befürwortern einer Anti-Hitler-Koalition die Partei. Im Juni 1940 stimmte die Mehrheit der sozialistischen Abgeordneten für die Übertragung der Vollmachten an Marschall P. Pétain und so für die Etablierung des Vichy-Regimes. Unbelasteten Mitglieder wie Daniel Mayer (* 1909) gelang es, die Partei im Widerstand wieder aufzubauen. Hoffnungen auf eine grundlegende Erneuerung des französischen Sozialismus erfüllten sich jedoch nicht. In der Vierten Republik gehörte die SFIO, ab 1946 unter dem marxistisch orientierten Generalsekretär G. Mollet, 1947-51 zu den Regierungsparteien; 1956/57 stand Mollet an der Spitze einer Koalitionsregierung der »Republikanischen Front«. Wegen seiner umstrittenen Algerienpolitik und der Unterstützung C. de Gaulles 1958/59 verlor die Partei viele Anhänger. Ab 1962 deutlich von de Gaulle distanziert, suchte die SFIO vergeblich die nichtkommunistische Linke zu sammeln. 1965 schloss sie sich mit anderen Linksgruppen der »Fédération de la Gauche Démocrate et Socialiste« an. Nach erneut gescheitertem Bemühen um ein Mitte-links-Bündnis wandelte sich die SFIO 1969 durch den Beitritt kleinerer sozialistischer Gruppen zum Parti Socialiste.W. Loth: Der frz. Sozialismus in der Vierten u. Fünften Rep., in: Neue Polit. Lit., Jg. 22 (1977);J. Touchard: La gauche en France depuis 1900 (Neuausg. Paris 1981);J. Kergoat: Le Parti Socialiste (ebd. 1983).
Universal-Lexikon. 2012.